Krabbenzeit im Havelland

 

Ein Shanghaier Freund, der seinen Urlaub in diesem Sommer in Europa verbrachte, traute seinen Augen nicht, als ich ihn zu einem zünftigen Essen von Wollhandkrabben mitschleppte. Die in China so teure chinesische Qualität gibt es in Deutschland in Bio-Qualität und zu einem günstigen Preis. Essen fand im deutsch-chinesischen Freundeskreis an einem See im Havelland statt, nur etwa sechzig Kilometer von Berlin entfernt.
In Shanghai höre ich immer wieder, dass man dort eigentlich keine Krabben mehr essen sollte, weil sie bei der Züchtung in Aquakultur mit Hormonen und Antibiotika vollgepumpt und noch verschiedenste andere unzulässige Schadstoffe enthalten würden. Umso erstaunter war mein Freund, als ihm in Deutschland die Tiere in „Bio-Qualität“ serviert wurden. Denn die meisten hiesigen Wollhandkrabben haben ein natürliches Leben in vergleichsweise sauberen Gewässern hinter sich und deshalb ein ausgezeichnetes Aroma. Und weil sie hier so günstig sind, hatte unser Gastgeber gleich kiloweise Krabbeltiere besorgt. Vor allem für die Chinesen unter den Gästen war dieses Essen ein kaum zu überbietender Genuss.
Auf dieser Website ging es in einem früheren Artikel (Chinas achtbeinige Auslandsstudenten) schon einmal um eben jene Wollhandkrabben. In China sind sie eine überaus begehrte Delikatesse, für die viel Geld ausgegeben wird.


Wollhandkrabben ähneln in Aussehen und Geschmack den Krebsen, werden aber als Krabbenart bezeichnet. Die dichte Behaarung der Scheren männlicher Tiere gab ihnen den merkwürdigen Namen. Ursprünglich sind sie in ostchinesischen Flussläufen und Mündungsgebieten beheimatet. Von dort gelangten sie vor gut hundert Jahren – wahrscheinlich im Ballastwasser von Handelsschiffen – in die europäischen Flussläufe. So beispielsweise in Elbe, Rhein, Weser, Ems und Aller sowie in deren Nebengewässer, wo sie sich je nach Wasserqualität rasant ausbreiteten. Und damit wurden sie zum Schrecken von Fischern und Anglern, weil sie mit ihren scharfen Scheren Netze, Reusen und Angelschnüre zerbeißen. Außerdem können sie durch massenhaftes Auftreten Drainagen verstopfen und durch Graben von Hohlgängen Dämme und Uferanlagen beschädigen. Doch des einen Leid ist des anderen Freud. Auch die deutschen Gourmets entdecken langsam den feinen Geschmack dieser chinesischen Spezialität.

Es gibt mehrere Möglichkeiten der Zubereitung. Die meisten Chinesen bevorzugen es, die Krabben zwanzig Minuten lang  zu dämpfen und sie dann mit einer Tunke aus dunklem Essig und Ingwer zu verzehren. Diese Garmethode ist unkompliziert und mit einfachsten Hilfsmitteln auch im Freien möglich. So geschehen an jenem Abend im Havelland.

Drei Wochen lang reiste mein Freund durch mehrere Länder Europas und sah so berühmte Städte wie Berlin, Krakau, Prag und Amsterdam. Doch als er mich nach seiner Heimkehr aus Shanghai anrief und von seinen Eindrücken erzählte, erwähnte er als erstes die leckeren Wollhandkrabben aus dem Havelland. Den Chinesen geht das Essen eben doch über alles.